Mittelalterlicher Shitstorm

Vom mittellosen Bauern zum erfolgreichen Markthändler und was am Ende übrig blieb

Es war einmal ein armer Bauer. Der hatte nichts mehr. Das karge Land, welches ihn zuletzt mehr leidlich als leiblich versorgt hat, gab nichts mehr her. Die Dürre hat den Boden unfruchtbar gemacht. Seine letzte Ziege hat er schlachten müssen, weil sie nichts mehr zu fressen fand und er wenigstens ein paar Tage sich von ihrem Fleisch nähren konnte. Frau oder Kind hat er nicht, denn wer nichts hat, kann auch nichts geben – so dachte er. Er lud seinen gesamten Haustand auf den Wagen, baute seine Hütte ab und trug die Reste als Brennholz zusammen. Mit dem klapprigen Wagen fuhr er in die nächste Stadt auf den Marktplatz. Aber er mochte gar nicht gern verkaufen. Er mochte sich gar nicht trennen von all den Sachen. Er musste aber, wenn er nicht verhungern wollte.holzspielzeug-steglich.de:images:products:2002-8

Allerlei Feilscher wollten ihm die Sachen zu Spottpreisen abluchsen, aber er wusste ja selbst, welchen Wert die Dinge hatten und zog lieber mit kargem Umsatz und vollem Wagen in die andere Stadt. Er verkaufte gerade so viel, dass er Brot und Abends sich ein Bier als Entschädigung für die Strapazen gönnen konnte. Wenn er mit seinen Sachen wieder loszog, fragten die Leute, warum er nichts verkaufen wolle. Dann erzählte er die Geschichten von dem Stuhl, auf dem er tagein tagaus gesessen hatte, dem alten Ofen, der ihn in allen kalten Wintern gewärmt hatte. Von Tag zu Tag wurden seine Geschichten schöner anzuhören. Und so kam es, dass nach und nach immer mehr Menschen , nur um seine Geschichten zu hören. Ein weit gereister Kaufmann bot eines Tages 1000 Gulden für den rostigen Ofen, um den sich solch sagenhafte Geschichten rankten.  Bald sprach es sich bis über die Landesgrenzen herum, dass da ein Mann auf dem Marktplatz gar wundersame Gegenstände mit noch wundersameren Geschichten verkaufe. Die Leute kamen von überall her. Immer wieder versuchte sich der Bauer herauszureden, wenn wieder jemand 1000 oder mehr Gulden für einen alten Kochkessel oder Kochlöffel bot. Das trieb die Preise nur noch höher. Auch längst verkaufte Gegenstände kamen in den Geschichten des Bauern vor. Die Leute erzählten sich die Geschichten gegenseitig weiter, von den begehrlichen und für normale Leute unerschwinglichen Waren. Dem Bauer wurde am Ende des Markttages schwindlig, wenn er das viele Geld zählte, das er einnahm. Er lud am Abend im Gasthaus Landstreicher und Bettler zu einer warmen üppigen Mahlzeit ein.

Eines Tages fragte er sich, warum er nicht einfach sein Geld nehme und sich eine Scholle fruchtbares Land kaufe. Die Antwort ward: Er fühlte sich in seinem neuen Leben viel wohler und nützlicher. Die Leute begeistern sich für seine Geschichten, die Käufer seiner Waren erfreuten sich ihrer und Landstreicher wie Bettler bekommen etwas Warmes zum Essen. Eines Tages verkaufte der Bauer auf einem Markt die letzten Waren von seinem ehemaligen Hausstand. Alsbald kamen Händler von den anderen Marktständen herüber und überredeten ihn, ihre eigenen Waren gegen Provisionen von 50 Teilen von Hundert oder mehr zu verkaufen. Der Bauer hatte keine bessere Idee und da er Spaß am Geschichtenerzählen gefunden hatte, willigte er ein. Jedoch musste er nun Geschichten zu den Waren erfinden, denn er hatte ja keine erlebt. Den Leuten war‘s egal. Sie kamen auf den Markt und rissen ihm  die Waren aus der Hand. Doch eines Tages begab es sich, das ein älteres Mütterchen an der Seite stand und ihrem Nachbarn zuflüsterte „die Geschichten sind erstunken und erlogen“. Den einen Krug da hätte sie erst gestern einem Händler auf dem Markte verkauft, den hätte sie selbst getöpfert. Ungläubig runzelte der Mann die Stirn: „Was erzählst du altes Mütterchen? Dort steht ein ehrlicher Mann, der würde niemals lügen.“ Doch das Mütterchen erwiderte: „Der Boden des Kruges zeigt ein Familiensiegel.“ Der Mann holte sodann Goldthaler aus der Tasche und kaufte den Krug und überzeugte sich: Tatsache. Die Alte sprach die Wahrheit. „Lügner, Betrüger, Scharlatan!“ rief der Mann. Der Bauer lief rot an. Das habe er nicht gewollt. Nie habe er vorgehabt, die Leute zu täuschen. Er sah sich als Opfer geldgieriger Händler. Doch ihm allein trug die Schuld. Nie hätte er sich darauf einlassen dürfen. Die Nachricht der Scharlatanerie verbreitete sich zehnmal schneller als einst sich die Leute von den Geschichten des Bauern erzählten. Der Bauer ward aus der Stadt gejagt. Selbst die Bettler und Landstreicher trieben ihn mit den Krücken hinaus aufs Land.

holzspielzeug-steglich.de:images:products:2004-1Das war‘s. Der Bauer war im falschen Moment nicht Herr seiner selbst und somit alles zerstört. Die Hälfte seines Geldes verlor er aus Panik vor dem Mob auf der Flucht aus der Stadt. Die andere Hälfte glitzerte nur stumpf. „Welch falsches Geld!“ Er mochte es gar nicht ansehen. Er schämte sich und lies das Geld einfach am Wegesrand liegen. Nun hatte er nichts mehr. Es wurde Abend, er lief weiter. Es wurde Nacht und er lief weiter. Er konnte kein Auge zu tun. Er lief hindurch bis zum Morgengrauen. Dann sank er erschöpft zu Boden. Gegen Mittag weckte ihn die Sonne. Am Horizont erblickte er einen Eselskarren. Als sich der Karren näherte, sah er, dass dieser mit allerlei Hausrat vollgepackt war. Der Mann mit dem Eselskarren sah den Bauern am Wegesrand und rief ihm zu „He Alter, wisst Ihr den Weg zur Stadt?“ Der Bauer erinnerte sich, als er selbst mit einem mit Hausrat vollgepackten Wagen auf den Weg in die nächste Stadt war. „Nehmt mich ein Stück mit, ich zeige Euch den Weg und erzähle Euch meine Geschichte.“

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