Kreative oder Unternehmensberater oder beides?

Welche Rolle spielen Werbeagenturen künftig und was fragen die Kunden eigentlich nach?

Vom Gebrauchskünstler zum Ratgeber

Werden Agenturen weiterhin hauptsächlich Dienstleister für die Umsetzung integrierter Marketing- und Unternehmenskommunikation sein? Das stellen Branchen-Insider immer häufiger in Frage. Schon immer waren zumindest charismatische Agenturchefs auch Unternehmensberater für ihre Kunden. Mit Sinken der Margen für reine Umsetzungsleistungen versuchen immer mehr Agenturen, ihren Kunden auch Beratungsleistungen zu verkaufen. Seit wenigen Jahren hat das Kind auch einen Namen: kreative Unternehmensberatung.

Aber gibt es überhaupt einen Bedarf an „kreativer Unternehmensberatung“? Und was soll das überhaupt sein, diese „kreative Unternehmensberatung“?

Ich stelle mir darunter Berater vor, die mehr „rechtshirnig“ arbeiten, als die Zahlenakrobaten bei McKinsey und Roland Berger. Aber was genau machen „kreative Unternehmensberater“? Sind sie Innovationsberater? Sind sie Coaches zur Findung revolutionärer Strategien? Sind sie Berater, die ihre Kunden dazu bringen, sich so zu verändern wie Apple vom Computerhersteller zum Musikhändler wurde? Sind es Berater, die Kunden in der Markenführung beraten und sie für die intuitiven und nicht planbaren Aufgaben dabei sensibilisieren und das wiederum mit den betriebswirtschaftlich-analytischen Anteilen verbinden?

Unter welchen Bedingungen fragen Kunden „kreative Unternehmensberater“ nach und gehen ganz absichtlich nicht zu McKinsey, Roland Berger oder Boston Consulting, beauftragen keine Marktforschung, beauftragen keine Trendforscher und gehen nicht zu einem spezialisierten Markenberater. Welche Bedürfnisse haben Kunden, wenn sie etwas an ihrem „Geschäftsmodell digitalisieren“ wollen und sich trotzdem nicht an einen Social-Media- oder IT-Berater wenden? Unter welchen Voraussetzungen ist gerade Erfahrung und Expertise in Werbung gefragt?

Welchen Unterschied machen kreative Unternehmensberater?

Auch an dieser Stelle gebe ich noch keine Antworten, sondern versuche, zirkulär die Kernfrage einzukreisen: Worin besteht die Expertise (ehemaliger) Agenturen, die sie in besonderem Maße von anderen Beratern unterscheidet? Und wie beurteilt der Kunde diese Expertise? Für welches besondere Wissen oder Können gibt es bereits heute eine aktive Nachfrage? Mehrere Ansätze sind denkbar und schlüssig:

  • Out-Of-The-Box-Perspektive

Die kann prinzipiell jeder liefern, der nicht aus dem Kundensystem kommt bzw. mit der Kundenbranche verwoben ist.

  • Kreative Lösungen für Engpässe im Geschäftsmodell

Diesen Punkt werden künftig immer mehr Agenturen erst einmal für sich selbst zu lösen haben.

  • Innovatives Verkaufstalent

Diese Kompetenz unterstellen vermutlich die meisten Kunden den Agenturchefs.

  • Durchblick bei der Vielfalt der Medien und Kommunikationsdisziplinen

Das erfüllen zwar immer weniger klassische Werbeagenturen, aber dennoch wesentlich zuverlässiger als die Mehrzahl der Kunden selbst.

  • Mehr bzw. „richtigeres“ Wissen darüber, wie der Markt tickt (Stichwort „Consumer Insights“).

Auf den letzten Punkt werde ich hier genauer eingehen, wobei Agenturen hier mit Markt- und Trendforschern konkurrieren. Gegenüber diesen haben sie aber einen unschätzbaren Marktvorteil: Sie wissen zusätzlich, wie sie mit den Menschen im Markt kommunizieren.

Gute Agenturen haben sich eine hervorragende Expertise angeeignet für kulturelle Feinheiten, die den Unterschied machen. Keine noch so ausgeklügelte statistische Konsumentenforschung und kein Kernspintomograf kann diese kulturelle Kompetenz ersetzen. Menschen verstehen Menschen als Menschen am besten. Die Kreation anschlussfähiger Sinnangebote ist die Kernkompetenz von guten Werbeagenturen. Dabei sind Agenturen mehr als bloße Kreativbüros, die Botschaften gestalten, in eine Röhre stecken, diese Röhre gleich eines Gewehrlaufes auf die Zielgruppe richten und dann hoffentlich treffsicher aufs Herz schießen. Diese Treffsicherheit wird künftig wieder mehr vom Wissen über Menschen und deren kontextspezifischen Bedürfnisse bestimmt. Technisch-mathematisches Kanal-Targeting übernehmen inzwischen Programme. Doch die können nur Datenspuren auslesen. Das Analoge, der Mensch – das bleibt die Kompetenz der Sinnstifter. Der Kontext, in dem Agenturen von ihren Kunden mehrheitlich gesehen werden, wird sich verschieben: Das Vorurteil „kreativ“ ist hierbei sehr hilfreich. Doch schöne Bilder und Texte sind in Zukunft zu wenig. Mitdenken im Sinne von Marke und Angebotspolitik wird zunehmend Pflicht.

Agenturen werden zu Sparringspartnern: Während der Auftraggeber um die Möglichkeiten und Grenzen seines Hauses weiß, versteht man sich in der Agentur umso besser auf die Gefühle der Menschen im Markt.

Strategische Kompetenz auf sich selbst anwenden

Agenturen werden ihre eigenen Grenzen überwinden: Die Vergötterung der „Idee“ ist von Außen betrachtet noch viel zu klein gedacht. Die „Idee“ steht für die schlüssige wie überraschende Verknüpfung zweier Aspekte:

  1. der inhaltlichen Kommunikationsstrategie, der Aussage, dem Statement, mit dem sich die Werthaltung einer Marke ausdrückt
  2. einem aktuellen Engpass von einer Gruppe von Menschen, die dieses Kommunikationsangebot annehmen und daran anschließen sollen.

Noch zu selten wird Agenturen jene strategische Kompetenz zugetraut, die sie bereits haben. Vor allem kommt es darauf an, dass Agenturchefs diese Kompetenz auch auf ihr eigenes Unternehmen anwenden. Das bedeutet eine konsequente Fokussierung auf eine klar umrissene Kernkompetenz. „Kreative Unternehmensberatung“ ist noch viel zu allgemein und unspezifisch. „Sinnstifter“ ist für viele Kunden allein wegen der Begrifflichkeit nicht anschlussfähig. Aber viel mehr als blumige oder auch knackige Selbstbeschreibungen sind es die Taten und tatsächlichen Geschäftsfelder, die markieren, wofür eine (einstige Werbe)-Agentur steht. Wer zwar gerne Markenberater wäre, seinen Hauptumsatz aber mit Medienproduktion macht, ist nicht richtig positioniert. Es nützt auch wenig, den festen Glauben mit sich herumzutragen, besser zu wissen, was der Markt braucht, wenn die Kunden dafür kein Bewusstsein ausgeprägt haben. Relevante Nachfrage entsteht allein durch ein Bedürfnis, das der Kunde selbst spürt – nicht durch eines, das ihm ein Berater verstandesmäßig nachvollziehbar herleitet. Missionieren ist kontraproduktiv.

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