Die Zukunft der Agentur

Wie sich Agenturen für die Zukunft positionieren können.

Werbeagenturen stehen mitten im Umbruch. Die Bedeutung der Mediawerbung ist gesunken. Erfolg haben diejenigen, die sich von Kanal-Beschickern zu Sinnstiftern wandeln.

Bevor ein Aufschrei Fensterscheiben und Sektflöten zu zerbersten droht: Natürlich stirbt die Mediawerbung in Print, TV und Web nicht von heute auf morgen aus. Tatsache ist aber auch, dass für die Produkt- und Unternehmenskommunikation zahlreiche neue Anwendungen hinzugekommen sind: Events, Newsletter, Product Placement, Facebook-Fanpages, Augmented Reality – ein Ende ist nicht in Sicht. Die Etats schrumpfen. Um das richtige und effiziente Verteilen auf Medien verhandeln ohnehin längst Mediaagenturen mit Vermarktern.

Was ist eine Agentur?

Der Begriff „Agentur“ steht längst für alle Arten von Kommunikationsdienstleistern: vom Suchmachinenoptimierer über das Designbüro bis hin zum PR-Berater. Ursprünglich, im 19. Jahrhundert, waren Werbeagenturen noch im tatsächlichen Sinne „Agenturen“, denn sie vermittelten den Zeitungen Announcen-Kunden. Daher kommt auch die Vermittlungsprovision von 15 Prozent (Agenturprovision). Gezahlt hat die Zeitung, indirekt natürlich der Anzeigenkunde. Nach und nach gingen die Agenturen dazu über, die Gestaltung der Anzeigen mit zu übernehmen – als kleine Zusatzdienstleistung, um Kunden zu gewinnen. So entstand der kreative Wettbewerb. Ein Wachstumsmarkt war es ohnehin, denn die Massenmedien eroberten sich die Welt. Nach der Zeitung kamen Zeitschriften, Kino, Radio und nach dem Krieg das Fernsehen. Die Leuchtreklamefelder und Plakatwände hatten bereits in den 1920er Jahren ihren Zenit erreicht. Längst war nicht mehr die Vermittlung von Schaltplätzen die Hauptaufgabe der Werbeagenturen. Längst reichten auch die 15 Prozent Agenturprovision nicht mehr als alleiniges Geschäftsmodell. Agenturen wurden zu Markenberatern, zu Sparringspartnern der Marketingleiter und übten durch farbige ganzseitige Anzeigen in reichweitenstarken Zeitschriften und Fernsehspots zur Prime-Time einen großen Einfluss auf Markenimages aus. Später differenzierten sich zunehmend Spezialisten heraus: PR-Agenturen vermittelten keine Werbeplätze sondern Kontakte zu Multiplikatoren. Hinzu kamen Direktmarketing-, Event- und in den 1990ern Multimedia-Agenturen: In Deutschland wurden Unternehmen wie Pixelpark, ID-Media oder Kabel New Media in wenigen Jahren zu großen Agenturen, weil sie die ersten Konzerne mit Internetauftritten versorgt hatten.

Im neuen Jahrtausend kamen Suchmaschinenoptimierer, Word-Of-Mouth- und Social Media Agenturen dazu. Für den Laien ist diese Ausdifferenzierung nicht mehr nachzuvollziehen.

Medienwandel

Das Zeitalter der Massenmedien mit wenigen Sendern und vielen Empfängern geht zu Ende. Damit verlieren markenführende Unternehmen und deren Erfüllungsgehilfen (Agenturen) das Monopol auf die mediale Markenkommunikation. Social Media macht jeden zum potenziellen Sender und verwandelt Kanäle in Netze. Die Anzahl der Kommunikationsangebote vervielfacht sich. Die Menschen empfangen nicht mehr, was massiv versendet wird, sondern was anschluss- und resonanzfähig ist. Die AIDA-Formel hat ausgedient: Interesse, Verlangen und die aktive Suche nach etwas, was unser aktuell brennendes Bedürfnis zu stillen verspricht, sind zu Voraussetzungen für Aufmerksamkeit geworden. Kommunikationsangebote müssen anziehend sein, um Anschluss zu finden. Sie müssen einen Grund liefern, etwas weiter zu erzählen und die Lust an der Selbstinszenierung entfachen.

Menschen verstehen

Was kommt bei den Menschen an? Das ist eine uralte Frage, die in den USA ab den 1940er Jahren das Motivforschungsgewerbe florieren ließ. Psychologische Methoden zur Werbewirkungsforschung wurden seitdem verfeinert, kritisiert, weiter verfeinert, gefeiert und verteufelt. Große Werber wie David Ogilvy hielten eher wenig von der Werbewirkungsforschung. Deren Gespür für anschlussfähige Kommunikationsangebote war viel feiner ausgeprägt, als es irgendeine Messmethode erfassen könnte. Rosser Reves hat 1960 das USP-Konzept und den „Reason Why“ als die einzig wahren Erfolgsfaktoren konstatiert. In Deutschland hat ab den 1970ern Werner Kroeber-Riel mit seinen Penetrations-Strickmustern die Werbewelt nachhaltig polarisiert: die einen vergöttern ihn bis heute, die anderen sehen ihn als Verursacher flacher dumpfer nerviger Werbung.

Heute werden Forschungsergebnisse ohnehin weniger zur Optimierung von Kommunikationsangeboten, als vielmehr zur Belegung und Unterfütterung bei beweisorientierten Kunden verwendet. Warum auf umständliche Weise erforschen, was die Menschen möglicherweise anspricht, um dann Monate später per Kampagne darauf einzugehen? 1993 hat Philip Morris Werbemittel für die Zigaretten-Marke Chesterfield von der Zielgruppe selbst gestalten lassen. American Apparel setzt ausschließlich auf Consumer Generated Advertising. Immer mehr Unternehmen erforschen auf diese Weise, wie die Menschen die Marke sehen und lassen dabei gleichzeitig die Weisheit der Vielen entscheiden, was ankommt. Die Menschen laden selbst Werbespots auf eine Plattform, stimmen darüber ab, was am besten gefällt und sehen genau das automatisch am häufigsten: Markenexploration, Kreation und Mediaplanung werden an den Markt ausgelagert und organisieren sich höchst effizient selbst. Ersetzt User Generated Advertising agenturproduzierte Werbung? Daran glaube ich nicht.

Agentur der Zukunft

Gute Agenturen haben sich eine hervorragende Expertise angeeignet für kulturelle Feinheiten, die den Unterschied machen. Keine noch so ausgeklügelte statistische Konsumentenforschung und kein Kernspintomograf kann diese kulturelle Kompetenz ersetzen. Menschen verstehen Menschen als Menschen am besten. Die Kreation anschlussfähiger Sinnangebote ist die Kernkompetenz von guten Werbeagenturen. Bislang sind Agenturen in den Augen ihrer Kunden nur Kreativbüros, die Botschaften gestalten, in eine Röhre stecken, diese Röhre gleich eines Gewehrlaufes auf die Zielgruppe richten und dann hoffentlich treffsicher aufs Herz schießen. Diese Treffsicherheit wird künftig wieder mehr vom Wissen über Menschen und deren kontextspezifischen Bedürfnisse bestimmt. Technisch-mathematisches Kanal-Targeting übernehmen inzwischen Programme. Doch die können nur Datenspuren auslesen. Das Analoge, der Mensch – das bleibt die Kompetenz der Sinnstifter.

Der Kontext, in dem Agenturen von ihren Kunden mehrheitlich gesehen werden, wird sich verschieben: Das Vorurteil „kreativ“ ist hierbei sehr hilfreich. Doch schöne Bilder und Texte sind in Zukunft zu wenig. Mitdenken im Sinne von Marke und Angebotspolitik wird zunehmend Pflicht. Agenturen werden zu Sparringspartnern: Während der Auftraggeber um die Möglichkeiten und Grenzen seines Hauses weiß, versteht man sich in der Agentur umso besser auf die Gefühle der Menschen im Markt.

Agentur-Reframing

Agenturen werden ihre eigenen Grenzen überwinden: Die Vergötterung der „Idee“ ist von Außen betrachtet noch viel zu klein gedacht. Gemeint ist die inhaltliche Kommunikationsstrategie, die Aussage; das Statement, in dem sich die Werthaltung einer Marke ausdrückt und einen Bezug zum aktuellen Engpass der Menschen herstellt, die dieses Kommunikationsangebot annehmen und daran anschließen sollen.

Noch zu selten wird einer Agentur strategische Kompetenz zugetraut. Das liegt zum einen an der Erfahrung vieler Marketingmanager, die Agenturen nur als Erfüllungsgehilfen operativer Kleinaufgaben kennen. Zum anderen liegt es an der hohen Taktfrequenz, in der Agenturen arbeiten und deren Planungshorizonte sich an die immer kürzeren Kampagnenzyklen angepasst haben.

Dennoch ist die Kompetenz vorhanden. Sie muss nur anders verpackt werden: Das Leitungswasser aus dem sächsischen Vogtland schmeckt weich, gesund und vital. Es kostet 0,003 EUR pro Liter. Füllt man es in eine edle Kristallflasche, dann kann man 0,3 Liter für 40 EUR als edle Tischdekoration verkaufen. So ein Reframing können Agenturen auch machen. Der Gesamtmarkt wird unter immer mehr Spezialdienstleistern aufgeteilt. Die „Mädchen für alles“ konkurrieren mit Praktikanten und Studenten auf Hungerlohn-Niveau.

Überlasst Kanal-Beschickung und Targeting den Rechnern bei den Vermarktern, Mediaplanern, GoogleAdWords-Optimierern und SEOs. Macht, was Ihr wirklich gut könnt: Werdet zu gefragten Spezialisten für anschlussfähige Sinnangebote. Darin liegt ein konstant wachsendes Grundbedürfnis.

Posted via web from Klaas Kramer

2 Kommentare zu „Die Zukunft der Agentur“

  • Freundlicherweise hat mich Carl-Philipp Mauve (Managing Director Ogilvy & Mather, Düsseldorf) darauf hingewiesen:
    David Ogilvy war kein genereller Kritiker der Werbewirkungsforschung.
    Aussagekräftige Wirkungsforschung war ihm sogar sehr wichtig.
    Er hat aber auch den naiven Glauben an die Allwissenheit der Motivforschung (US-Kunden in den 1960ern waren ganz wild drauf) kritisiert.

  • Die Herleitung des Artikels gefällt mir extrem gut, stellt den Kontext in dem Werbeagenturen sich bewegen sehr gut dar. Die inhaltliche Aussage macht mir jedoch Kopfzerbrechen: Vom Werbegestallter zum Gestallter für anschlussfähige Sinnangebote. Das liest sich für mich wie eine Empfehlung einfach bessere Werbung zu machen.

    Vielleicht muss man die Geschichte mal von Kundenseite her denken. Der Kunde hat ein Produkt, ein Unternehmen, womöglich eine Marke die er positionieren und kommunizieren will. Schlussendlich will er besser, mehr, einfacher verkaufen wie der Mitbewerber. Was kann also eine Agentur leisten, um dies zu unterstützen? Im Moment fallen mir da nur zwei Möglichkeiten ein:

    1. Ein Unternehmensberater für Kommunikation: Ich will als Kunde ein Produkt kommunizieren und die Agentur hilft dabei.

    2. Ein Unternehmensberater für Markenbildung, -postionierung, … usw. Wobei das wahrscheinlich viel mit dem Punkt 1 zu tun hat, aber weniger produktspezifisch ausgelegt ist.

Kommentar zu Patrick Fritz abgeben