Digitales kann nur analog gemanagt werden

Blogparade Digitales Managen

Der Titel provoziert eine sprachliche Paradoxie. Freilich nur dann, wenn „digital“ auf zweierlei Weise gedeutet wird. Daher lautet meine Überschrift auch so wie sie lautet.

Wie kommt Klaas Kramer dazu, so etwas zu behaupten?

Wenn von der „digitalen Infrastruktur“ gesprochen wird, so ist die Digitaltechnik gemeint, die eine herrlich analog zu handhabende Infrastruktur wie das Internet und seinen zahlreichen sozialen Anwendungen ermöglicht hat. Der Begriff „analog“ bezeichnet m.E. treffend:

1. Verschwindend geringe Zugangsbarrieren – kein digitaler Sprung von 0 zu 1 nötig.

2. Demokratisierte Kontaktmöglichkeiten: Jeder kann jedem eine E-Mail schreiben, sich auf LinkedIn verknüpfen, auf Twitter folgen – keine digitalen (kaskadenhaften) Hierarchien, die Informationsfluss und Möglichkeiten zur Kontaktaufnahme blockieren könnten.

3. Intuitive Nutzung: Anwendungen orientieren sich an der haptischen Handhabung, nicht an der Programmiersprache – kontinuierliche Augen- und Fingerbewegungen statt Einsen und Nullen.

Wortklauberei? Vielleicht. Aber als Einführung für das Verständnis der Chancen möglicherweise doch nicht so uninteressant.

Wie wird sich das Web 2.0 und die Social Media Kommunikationskultur in Zukunft in Unternehmen auswirken?

In den drei genannten Punkten steckt bereits folgende Unterstellung: Kommunikationskultur in und Organisationsstruktur von Unternehmen sind zwei Seiten einer Medaille.

Zwei Szenarien drängen sich mir auf. Uns sie schließen sich einander gar nicht aus:

1. Menschen, die sich auf Social Media sowohl technisch als auch sozial verstehen, nehmen eines Tages die Entscheiderposten in Unternehmen ein und sorgen dafür, dass  die Organisationsstruktur deren Kommunikationskultur folgt.

2. Die so genannten Digital Natives gründen ihre eigenen Unternehmen und sorgen dafür, dass bestehende (hierarchisch aufgestellte) Unternehmen entweder umstrukturieren oder Pleite gehen.

Beides wird gleichzeitig passieren, aber es gibt noch einen dritten Aspekt: Die Hierarchie ist keinesfalls eine überholte Aufstellung. In einer Organisation wird es auf die Fähigkeit ankommen, zwischen vernetzter und hierarchischer Kommunikation im richtigen Moment schnell genug umzuschalten. Langfristig gesehen passen sich Unternehmen wandelnden Markt- und Kommunkationsverhältnissen immer an – wenn damit die Gesamtheit aller Unternehmen gemeint ist. Uns Akteure der Gegenwart kann das natürlich nicht zufrieden stellen. Wir wollen für unser Unternehmen oder eines unserer Kunden die Anpassungsfähigkeit erhöhen.

Welche Erfahrungen habe ich selbst mit Social Media (in Unternehmen) gemacht?

Menschen verhalten sich gemäß ihrer Rolle: Wer in einer hierarchischen Organisation arbeitet, agiert als Schaltstelle dieser Hierarchie und nicht als autonomer Netzwerknoten des Social Web, wenngleich das im Privatleben ganz anders aussehen mag.

Als Social Media Immigrant lerne ich jeden Tag dazu, habe Seminare besucht und mich in Social Media PR coachen lassen. Meine aktuellen Aufträge gewinne ich ausschließlich über Social Media. Das Social Web ermöglicht, dass sich diejenigen anziehen, die sich etwas zu geben haben. So findet eine Selbstorganisation von Märkten statt, wie sie schon im Cluetrain Manifest beschrieben wurde.

Wie steht es um die viel beschriebene Kluft zwischen Digital Natives und älteren Generationen?

Social Media ist keine Angelegenheit des Alters. Meine mehrheitlich sehr jungen Studierenden führen mir das deutlich vor Augen. Die auf Podien oft zitierte zehnjährige Tochter, die den Papa fragt, wie die Leute früher ohne Computer ins Internet gekommen sind, ist ein schön erfundenes, mittlerweile aber ausgelutschtes Märchen. Allmählich bin ich mir nicht mehr sicher, ob die „Digital Natives“ nicht ein Hirngespinst sind, auf das wir gut und gerne verzichten können.

Welche Chancen oder Risiken für Unternehmen und das Management sehe ich (kommen)?

Die große Chance sehe ich in einer neuen Art, Management und Unternehmensführung zu beobachten und zu beschreiben. Die digitale Infrastruktur erfordert ein analoges Management. Digitales Management ist von einer Kennzahlenorientierung geprägt und einer Landkarte, die eigentlich nicht das Management, sondern lediglich den Planungsprozess beschreibt:

  1. Zielsetzung
  2. Strategiefestlegung
  3. Planung von Umsetzungsschritten
  4. Erfolgsmessung

Auf Schritt 4 überrascht uns häufig etwas, das mit den Wortungetümen „Vollzugsdefizit“ oder „Implementierungslücke“ versehen wird. Wie geht man üblicherweise „dagegen“ vor? Man macht einen neuen Plan nach demselben Schema. Digitale Hierarchiestufen brauchen so etwas. Mit Konzeptpapieren in der BWL-Planungssprache artikulieren Führungskräfte ihren Mitarbeitern Ziele und in derselben Sprache werden Berichte und Vorschläge (zur Budget-Genehmigung) nach oben gereicht. Mit diesen schriftlichen Kommunikationscodes reproduziert sich eine Organisationsform, wie sie im „analogen“ Dampfmaschinen- und Industrialisierungszeitalter entstanden ist. Und sie hat sich nicht grundlos bis heute bewährt. Für eine Kommunikationsstruktur – und damit auch -kultur –, die durch die 3 Merkmale

  • Geringe Zugangsbarrieren
  • Demokratisierte Kontaktmöglichkeiten
  • Intuitive Mediennutzung

gekennzeichnet ist, erweist sich die mentale Landkarte der BWL-Planung als zunehmend ungeeignet. Modelle der Intervention und unternehmerische Erfolgsmuster liefern passenderer Landkarten. Damit besteht die große Chance, Management bewusster und effektiver zu machen. Bei Festhalten an BWL-Planungsmustern erhöht sich das Risiko, sich allzu sehr an „Implementierungslücken“ und „Vollzugsdefiziten“ aufzureiben, anstatt unverzüglich zu unternehmerischen Lösungen zu kommen.

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