Flüchtlingskrise? In der Krise gilt es, eine Entscheidung zu treffen!

Wir stehen vor der Wahl

Internet, freier Geld- und Warenverkehr – Menschen sind global verbunden. Kulturen nähern sich an, ob wir das wollen oder nicht. Ein Zurück in das Zeitalter der Abschottung ist unmöglich. Für uns alle wäre das Leben einfacher und entspannter, gäbe es keine Flüchtlinge. Aber es ist nun einmal Tatsache, dass eine steigende Anzahl Menschen auf der Flucht sind vor Krieg und Perspektivlosigkeit. Wir stehen nicht etwa vor der Wahl zwischen „Wir lassen sie rein“ und „wir lassen sie draußen“. Kontingente und Obergrenzen sind politische Sprechblasen ohne praktische Relevanz, denn dann hieße es ab einer bestimmten Person ebenfalls „Grenze ab jetzt dicht. Komme am 1. Januar wieder.“ Die Frage nach dem Ob hat die Wirklichkeit bereits beantwortet. Wir können jetzt noch wählen zwischen den Facetten des Wie: Behandeln wir die Menschen anständig, also wie Menschen und begegnen wir ihnen mit Offenheit oder behandeln wir sie wie unwillkommene Verwaltungsobjekte?

Ebenso Tatsache wie die Fluchtbewegung ist auch die unterschiedliche Haltung in der Bevölkerung diesen Menschen gegenüber. Das Spektrum reicht von

  1. „Refugees welcome – denn eine reiche Gesellschaft profitiert von der eigenen Großzügigkeit. Sie heilt wenigstens ein bisschen, was Kolonialismus, rücksichtslose Finanz- und Landraub-Politik der (westlichen!) Großkonzerne in der Dritten Welt kaputt gemacht haben und weiter kaputt machen.“

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  2. „Wir erleben gerade die Invasion islamistischer Barbaren, die nichts anderes im Sinn haben, als den Westen zu vernichten. Wir sind bereits im Krieg gegen die und unsere Regierung ist auf deren Seite und gegen das eigene Volk“.

Grenzsicherung Flüchtlingskrise

Verfolgt man soziale Medien (Facebook, Youtube-Kommentare), dann werden die Standpunkte mehr oder weniger emotional vertreten. Mir ist nicht daran gelegen, konkreten Menschen eine festgelegte emotionale Grundstimmung zuzuordnen, denn jeder Mensch hat zu jeder Zeit die Wahl.

Welchen Wolf fütterst Du?

Eines Abends erzählte ein alter Cherokee-Indianer seinem Enkelsohn am Lagerfeuer von einem Kampf, der in jedem Menschen tobt: „Mein Sohn, der Kampf wird von zwei Wölfen ausgefochten, die in jedem von uns wohnen. Der eine Wolf ist voll Zorn, Neid, Eifersucht, Sorgen, Schmerz, Gier, Arroganz, Selbstmitleid, Schuld, Vorurteile, Minderwertigkeitsgefühle, falschem Stolz und davon überzeugt, wir alle stünden im Wettbewerb gegeneinander. Der andere Wolf ist voller Liebe, Hoffnung, Heiterkeit, Demut, Güte, Wohlwollen, Zuneigung, Großzügigkeit, Aufrichtigkeit, Mitgefühl und weiß, dass wir Menschen alle miteinander verbunden sind. Der Enkel dachte einige Zeit über die Worte nach und fragte dann: „Welcher der beiden Wölfe wird gewinnen, Großvater?“ Der alte Cherokee antwortete: „Der Wolf, den du fütterst.“

Wir können uns in jedem Augenblick fragen, welchen Wolf wir gerade füttern. Wir füttern mit unseren Gedanken. Wir füttern mit Geschichten, die wir uns selbst und anderen erzählen.

Entscheiden und verantworten

Wir geben unser Land nicht auf, wenn wir Verantwortung übernehmen und großherzig sind. Wir gäben es auf – am meisten dabei uns selbst! – wenn wir uns gegenüber Anderen abgrenzen und uns im Mangel- und Wettbewerbsdenken versteigen. Mit einer Überzeugung, alle Menschen und alle Völker stünden im Wettbewerb, lässt sich freilich kaum begreifen, dass uns Flüchtlingshilfe reicher macht, statt ärmer. Wenn Menschen denken, sie wären zu kurz gekommen, weil sie arm sind, vertauschen sie die Kausalität: Tatsächlich sind sie arm, weil sie das denken und in der Opferrolle festhängen. Opfer haben sich selbst zum Objekt der Fremdbestimmung gemacht und sind dabei besonders empfänglich für Verschwörungstheorien und populistische Polit-Rattenfänger. Das Cherokee-Gleichnis der Wölfe macht deutlich, dass jeder jederzeit die Wahl hat, dass jeder selbstbestimmt ist.

A beautiful airbrush painting of an young indian warrior accompanied with two wolves

Überall auf der Welt haben Menschen zwei konstante Grundbedürfnisse, die im Leben manchmal nur schwer in Einklang zu bringen sind: Wir wollen frei und gleichzeitig mit anderen Menschen verbunden sein. Die einzige Form der menschlichen Begegnung, in der das funktioniert ist eine, in der sich die Menschen nicht mehr gegenseitig zu Objekten machen, sagt Neurobiologe Gerald Hüther. Doch gerade in diesen Zeiten passiert es verstärkt: Flüchtlinge werden Objekt der Bewertung, ob sie denn „nur“ Wirtschaftsflüchtlinge seien, ob ihre Religion und ihr Verhalten denn integrationsfähig sei usw.. Nicht weniger kontraproduktiv ist es, Pegida-Demonstranten als „dumm“ oder „Nazis“ zu bewerten. Das trennt anstatt zu verbinden. Wenn wir eine friedliche Gesellschaft mit Wohlstand wollen, gilt es uns einander als Menschen mit denselben Grundbedürfnisse zu erkennen. Schaffen wir uns Erfahrungsräume der Begegnung ohne Bewertung: Facebook-Kommentar-Rattenschwänze, politische Kundgebungen und Günter-Jauch-Sendungen sind dafür kaum geeignet.

Integration: Beispiel sein statt Fingerzeig

Während die einen ihre Angst (gefühlte Schwäche) in kollektiven Hass (gefühlte Stärke) verwandeln, damit jedoch nichts zu Frieden und Wohlstand beitragen, kommen die anderen ins konstruktive Handeln. Deutschland hat die Chance, eine Bürgergesellschaft zu werden, in der immer mehr Menschen Verantwortung für sich und für andere übernehmen, anstatt auf „die Politik“ zu warten oder mit dem Finger auf andere zu zeigen, die „erst mal mit guten Beispiel vorangehen sollen“. Aus der engagierten Flüchtlingshilfe kann etwas großes Emanzipatives werden. Viele Menschen entdecken derzeit ihren Unternehmergeist und erleben dabei nach langer Zeit wieder so etwas wie Selbstwirksamkeit. Sie machen die Erfahrung, dass sie durch das Helfen anderer selbst enorm profitieren. Es ist um jede Sekunde des Lebens schade, die an Selbstmitleid und Opferrolle verschwendet wird.

Wer fordert, dass Asylsuchende das Grundgesetz verinnerlichen sollen, hat als erstes selbst mit gutem Beispiel voran zu gehen. Gandhi sagte, wir müssen selbst die Veränderung sein, die wir in der Welt sehen wollen. In der Gemeinde, wo ich wohne, befinden sich 3 kleine Flüchtlingsunterkünfte und die alteingesessenen Anwohner kümmern sich sehr um sie. Ihnen wird eine friedliche gastfreundliche offene Kultur vorgelebt – anders als den zahlreichen Gastarbeitern, die in den 1960ern wie Arbeitstiere angeheuert wurden und denen es besonders leicht gemacht wurde, Deutschland als ein kaltes, herz- und gottloses Land voller Egoisten wahrzunehmen. Was kommt von unserer Wertegemeinschaft rüber, wenn Muslime das erste was sie sehen eine Journalistin ist, die Männern mit Kindern im Arm Beine stellt? Lasst nicht zu, dass wir als kalte Gesellschaft missverstanden werden, in der die Menschen egoistisch seien und an nichts mehr glauben, außer an den Konkurrenzkampf, in der Gastfreundschaft ein Fremdwort ist.

Integration findet bereits statt, wenn Menschen in Flüchtlingsheimen helfen. Sie verbringen gemeinsame Zeit, leben Werte und sind in Kontakt. Integration ist ein organischer Prozess der menschlichen Verbindung, bei dem mitnichten eine Identität aufgehoben wird. Im Gegenteil: Durch die Verbindung mit anderen Menschen, entfalten wir unser Selbst erst wirklich. Integration erfolgt nicht autoritativ, sondern aus der praktischen Notwendigkeit, die natürlicherweise derjenige deutlicher verspürt, der immigriert ist. Dass das in den vergangenen 50 Jahren in Deutschland nicht stattgefunden hat, liegt daran, dass sich Menschen mehrheitlich aus dem Weg gegangen sind und voneinander abschotteten. Eine „Leitkultur“ muss nicht verordnet werden. Sie wird gelebt von Menschen, die Anpacken: Unternehmer, ehrenamtliche Helfer, Social Entrepreneure. Eine „andere Religion“ spielt bei der mitmenschlichen Begegnung eine untergeordnete Rolle. Wir wären anderenfalls schon wieder beim Objektisieren, beim Bewerten. Konzentrieren wir und auf das uns und alle Religionen verbindende: Jede Religion kann eine Religion der Liebe sein, trägt aber erwiesenermaßen auch den Schatten des Krieges in sich. Wer Wohlstand will, braucht Frieden. Wer Frieden will, muss aufhören aggressiv zu sein, aufhören andere Menschen zu Objekten zu machen, aufhören andere zu bewerten. Fange Du an! Warte nicht, dass der andere beginnt. Mach dich nicht davon abhängig, was der andere tut.

Ich glaube an eine Bürgergesellschaft in der die Menschen füreinander tätig werden, Verantwortung übernehmen und dafür wirken, das Leben aller Menschen und Geschöpfe zu verbessern. Ich glaube daran, dass alle Menschen nach Glück und Frieden streben und dass Missgunst, Ausgrenzung, Kampf und Krieg nur Phänomene zeitweiliger Unbewusstheit sind – wenn auch sehr hartnäckige, die leider manchmal die Überhand gewinnen. Ich glaube daran, dass sich das ändern wird, weil es sich ändern muss, wenn die Menschheit weiterbestehen will.

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